Seiten

Impressum und Datenschutzerklärung

21.08.2017

Deutschland baut ab

Immer komplexere Gesetze und Regelungen, technische Schwierigkeiten und Protest von Anwohnern – dieser Dreiklang wird Deutschlands Infrastruktur in naher Zukunft zugrunde richten. Sehr schön zeigt sich das Problem, unter dem viele Bauprojekte leiden – und längst nicht nur die großen –, am Eisenbahntunnel Rastatt, der jüngst durch eine Gleisabsenkung an der darüber verlaufenden Bahnstrecke in die Schlagzeilen kam. Es lohnt sich vielleicht, einmal auf die Geschichte dieses Bauprojektes zu schauen, weil sich dort die oben beschriebenen Widerstände wie unter der Lupe beobachten lassen.

Der Tunnel Rastatt ist Teil von etwas sehr großem: der Neubaustrecke zwischen Karlsruhe und Basel und damit dem Korridor Rotterdam-Genua.  Dessen prominentestes Teilstück ist zweifellos der Gotthard-Basistunnel, mit 57 Kilometern der weltweit längste Eisenbahntunnel, den die Schweiz nach 17-jähriger Bauzeit 2016 in Betrieb nahmen. Seither warten die Schweizer auf die Fertigstellung der Zuführungsstrecken in Deutschland. Und sie werden noch eine Weile warten müssen.

Dabei ist das Problem nicht neu: Bereits seit Jahrzehnten sind die Bahnstrecken im oberen Rheintal überlastet. Deshalb begann die Bahn im Jahr 1970 mit der Planung für eine neue Streckenführung im Raum Rastatt. 1970! Damals war Willy Brandt Bundeskanzler! Hier in Stichpunkten die weiteren "Projektfortschritte":

·         1970 bis 1983 wurden mehrere ober- und unterirdischen Varianten der Streckenführung untersucht

·         1983 wurde ein Raumordnungsverfahren eigeleitet

·         1986 fiel die Entscheidung für Tunnelbau und Streckenführung

·         1990 wurde das Planfeststellungsverfahren eingeleitet

·         1998 war das Planfeststellungsverfahren nach mehreren abgewiesenen Klagen schließlich bestandskräftig

·         2000 bis 2010 wurde das Bauwerk mehrmals mit unterschiedlichen Tunnellängen geplant

·         2012 gab es eine Finanzierungsvereinbarung

·         2015 sollte der Vortrieb der Tunnelbohrmaschine beginnen

·         2018 war die Rohbaufertigstellung geplant

 

Dumm nur, dass durch die Bodenabsenkung dieser Zeitplan nun obsolet ist. Die Baufirma hat bei der Tunnelbohrung das sogenannten Eisringverfahren eingesetzt – durch Vereisung sollte der weiche Schwemmboden im Rheintal fest und wasserundurchlässig werden, bis die Betonröhre fertiggestellt ist. Ob dieses – laut Deutscher Bahn „international bewährte und vielfach eingesetzte“ – Verfahren für die Havarie verantwortlich ist, untersuchen derzeit Fachleute. Jedenfalls musste der eingesunkene Tunnel samt darin befindlicher Bohrmaschine mit Beton verfüllt werden. Ein Millionenschaden. Ob und wie es an dieser Stelle weitergehen kann, ist derzeit völlig offen.

Zum Spaß hier noch die Daten einer anderen Bahnstrecke:

·         1XX3 Petition der Bürger für den Bau einer Eisenbahnstrecke

·         1XX5 Genehmigung des Baus

·         1XX5 Sicherstellung der Finanzierung und Planung der Strecke

·         1XX6 erster Spatenstich

·         1XX9 Fertigstellung

 

Die XX stehen für das Jahrzehnt: Es handelt sich um die 1830er Jahre und die Bahnstrecke von Dresden nach Leipzig, die erste deutsche Fernbahn. Innerhalb von vier Jahren bauten unsere Altvorderen damals 116 Kilometer Strecke, und das ohne moderne Baumaschinen und ohne jede Erfahrung mit diesem neuen Verkehrsmittel. Es ist mir ein Rätsel, warum wir heute das Zehnfache dieser Zeit brauchen. Wir Deutschen können froh sein, dass so viele große Infrastrukturprojekte (Das Eisenbahnnetz! Die Autobahnen! Die Kanalisation!) schon vor Jahrzehnten gebaut worden sind. Heute wären solche Projekte absolut undurchführbar.

Übrigens: Die Bahnstrecke Leipzig-Dresden wird seit 1993 saniert. Die Fertigstellung ist noch nicht absehbar.