03.08.2012

Wurmlöcher durch Deutschland

Ich hasse meinen Job. Ich liebe ihn. Vier Tage in dieser Woche tat ich nicht anders, als Unmengen von Produktmeldungen zu bearbeiten, die durch die bevorstehende Autoteilemesse "Automechanika" in unsere Redaktion gespült werden. Die hören sich immer gleich an: "Auf der Leitmesse der Automobilwirtschaft präsentiert der weltweit führende Zulieferer XY innovative Produktlösungen für den automobilen Aftermarket Rhabarberrhabarber." Uaarrgghhhh.
Doch hat die Woche immerhin noch einen fünften Arbeitstag, und dieser hielt eine gänzlich andere Aufgabe für mich bereit: ein Testmotorrad vom Typ BMW R 1200 GS nach München bringen und eine G 650 GS daselbst abholen. Wie schön.
Für gewöhnlich nutze ich für diese Tour die Bundesstraße 13, die von unserer Haustür bis fast genau vor das Tor des BMW-Testfahrzeugzentrums in Garching verläuft, als wäre sie dafür gebaut worden. Doch heute entschied ich mich anders, weil überregionale und parallel zu Autobahnen verlaufende Bundesstraßen mittlerweile einfach kein Motorrradrevier mehr sind. Zu viele Lkw, in der Erntezeit auch zu viele Traktoren, ganz einfach zu viel Verkehr. Darauf hatte ich keinen Bock mehr. Und nun waren in der letzten Ausgabe der Zeitschrift "Motorrad" vier interessante Tourenvorschläge erschienen, mit denen man auf möglichst geraden Wege, aber ohne Autobahnen und Bundesstraßen, in die Alpen gelangen kann. Eine dieser Routen bot sich als Ausweichstrecke für die chronisch überlastete und größtenteils langweilige B13 geradezu an.
Heute morgen startete ich nun zunächst auf bekannten Straßen Richtung Rothenburg. Von dort aus ging es über Leutershausen in Fränkische Seenland, wo ab Gunzenhausen die aus "Motorrad" kopierte Routenführung begann. Mannomann, die Kollegen haben sich aber echt Mühe gegeben. Über kleine und kleinste Straßen ging es streng Richtung Süden. Am Anfang kannte ich die Gegend noch von unserer Verlags-Motorradtour, die vor kurzem ebenfalls in dieser Region stattgefunden hatte. Merkwürdigerweise verfuhr ich mich trotzdem gleich am Anfang. Ich musste nämlich feststellen, dass das rudimentäre Roadbook aus der Zeitschrift allein doch nicht aureichte, um sicher zu navigieren - speziell in Konfrontation mit der traditionell vogelwilden Ausschilderung in der deutschen Provinz. Aber am Ende schaffte ich es doch, der vorgegebenen Streckenführung zu folgen.
Es war verrückt. Gemessen an dem üblichen Straßenkampf auf den Bundes-Highways fühlte ich mich dort wie in einem Paralleluniversum, quasi im Subraum des deutschen Straßennetzes. Die überwiegende Zeit war ich vollkommen allein unterwegs. Die wenigen Traktoren oder Nutzfahrzeuge waren schnell überholt, Pkw waren fast keine zu sehen. Überquerte ich per Brücke eine Bundesstraße, war ich schockiert über den dort tobenden Verkehrswahnsinn und nahm mir vor, in Zukunft nie wieder dort zu fahren. Die Strecke führte konsequent an allen Städten vorbei, die mehr als geschätzt 10.000 Einwohner hatten, und so sah ich zwischen Gunzenhausen und Dachau keine einzige Ampel. Keine!
Diese Route war ein Wurmloch durch das normale Verkehrsuniversum, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Denn schneller war ich natürlich nicht unterwegs als auf der B13, weil das Durchschnittstempo wegen der vielen Ortsdurchfahrten deutlich niedriger lag und ich ab und zu pausieren und auf die Karte schauen musste. Auf die knapp 300 Kilometer brauchte ich gut eine Stunde länger als sonst und kam gegen 13.30 in München an. Aber das war es wert.
Als ich dann die Maschinen ausgetauscht hatte, wobei der Pförtner mich wegen des vermeintlichen Abstiegs auf den Einzylinder bemitleidete (wenn der wüsste), zwang ich mich, auf die B13 Richtung Würzburg einzuschwenken, um nicht noch einmal fünf Stunden zu brauchen. Doch schon Minuten später hatte ich die Schnauze voll. Offensichtlich war die Autobahn dicht, und so kroch ein Lindwurm aus tschechischen Lkw, holländischen Urlaubern und bayerischen Bauern langsam gen Norden. Eigentlich hätte ich es wissen müssen. Kurz entschlossen bog ich bei Fahrenzhausen ab ins Outback. Es müsste doch möglich sein, sich an ein paar bekannten Orten und dem Sonnenstand zu orientieren und dadurch nach Würzburg zu gelangen, ohne ständig auf die Karte zu schauen (die kleine GS hatte leider keinen Tankrucksack). Immerhin hatte ich mir vor dem Start noch ein paar markante Ortsnamen abseits der Bundesstraße eingeprägt.
Es funktionierte: Über Petershausen und Schrobenhausen gelangte ich nach Pöttmes und war damit wieder auf der von "Motorrad" gebastelten Landstraßenroute. Mein eigener Weg war zwar nicht ganz so bukolisch, aber dafür schneller. Nachdem ich Ansbach noch weiträumig umgangen hatte, enterte ich die B13 erst wieder südlich von Uffenheim, knapp 60 Kilometer vor Würzburg. Insgesamt dauerte die Rückfahrt genau vier Stunden für rund 280 Kilometer; ein bemerkenswerter Schnitt für diese Streckenführung, allerdings hatte ich auch nur einmal kurz zum Pinkeln angehalten. Dieses Wurmloch bedeutet also keinen Zeitnachteil.
Insgesamt war ich heute rund 560 Kilometer unterwegs, davon 80 Bundestraße und Null Autobahn. So macht das Motorradfahren wieder Spaß. Es müsste mehr solche Wurmlöcher geben.