16.06.2010

Der Plan

Als ich gestern Nacht aus München heimfuhr, von der Präsentation der neuen Horex, stand ich noch mächtig unter dem Bann dessen, was ich gerade erlebt hatte. Zwar tobten die Smashing Pumpkins aus den Boxen, aber sie gelangten nicht von den Ohren ins Hirn. Um das Autofahren mit 180 auf dunkler Bahn kümmerten sich irgendwelche Subroutinen. Mein Bewusstsein kreiste um das, was ich in München gesehen hatte. Was war da eigentlich passiert? Eine kurze Zusammenfassung:
1. Ein Mann fährt gern Motorrad, findet aber im aktuellen Angebot nichts, was ihm zusagt.
2. Dann ersinnt er ein Konzept, das nicht nur ihm gefällt, sondern auch mit keiner anderen Maschine am Markt vergleichbar ist.
3. Dann lässt er das Konzept patentieren.
4. Gibt seinen Job auf, um es weiterzuverfolgen, und überzeugt einen Kollegen, dasselbe zu tun.
5. Kauft eine Traditionsmarke, unter der die Maschine dereinst produziert werden soll.
6. Stellt einen Business-Plan auf, der offenbar so zwingend ist, dass ihm Banken, der Staat und private Kapitalgeber eine zweistellige Millionensumme anvertrauen.
7. Sucht sich Entwicklungsdienstleister, Designer und Zulieferer, um sein Konzept serienreif zu entwickeln.
8. Denkt sich eine vertrackte Pressearbeitsstrategie aus, um das Interesse der Öffentlichkeit wachzukitzeln.
9. Stellt letztlich, fünf Jahr nach der Idee, den ersten Prototypen der Presse vor.
10. Verhandelt mit Kommunen über einen Werksstandort und sucht Motorradhändler als Vertriebspartner. Und so weiter.
Das klingt sehr folgerichtig und in dieser Verkürzung auch ziemlich einfach, und doch: Wer hätte es soweit gebracht? Ich bin zwar schon seit Jahren bei Punkt 1, zu Punkt 2 a) fällt mir auch noch etwas ein. Das war es dann aber.
Heute, mit einem Tag Abstand, ist der Bann gewichen und hat nüchterner Überlegung Platz gemacht. So etwas wie gestern abend in München ist nur hier in Deutschland ein Wunder, wo sich sonst niemand daran traut, eine neue Motorradfirma aufzumachen. In Italien dagegen muss man nur einen Tropfen Motoröl verschütten, schon entsteht eine. Business-Pläne und ein paar Millionen in der Hinterhand haben die auch alle, und meistens schaffen sie es ebenfalls, ein faszinierendes Motorrad zu entwickeln und der staunenden Presse darzubieten. Eine Produktion aufzubauen gelingt dann schon nicht mehr in jedem Fall, und wenn doch, dann scheitern sie spätestens an den Mühen der Ebene. Garantiekosten, Rückrufaktionen, Händlerunterstützung, Werbung, Entwicklungskosten für neue Modelle usw. fressen den spärlichen Cashflow auf, hochfliegende Wachstumspläne verwirklichen sich nicht, und nach ein paar Jahren bleibt nur der Gang zum Insolvenzrichter. Beispiele gefällig? Moto Morini, Voxan, Indian, Excelsior Henderson, Morbidelli. Gibt sicher noch mehr.
Den Machern von Horex mehr zuzutrauen fällt allzuleicht nach der beeindruckenden Präsentation am Dienstag abend. Allein, wir haben für all die perfekt funktionierenden Pläne keine Zeugen als sie selbst. Und ein Satz in den Presseunterlagen lässt mich stutzen. "Alles in allem ist ein zweistelliger Millionenbetrag eingeplant, der das Projekt bis zum Marktstart absichert." Bis zum Marktstart. Doch erst dann beginnt sie eigentlich richtig, die Geschichte der neuen Horex. Es ist den Machern zu wünschen, dass ihre Business-Plan auch Antworten auf die dann unvermeidlich folgenden Rückschläge bereit hält.